Definitionen zu "Nanomaterial"


Die Nanotechnologie umfasst viele verschiedene Forschungsgebiete, bei denen es um die Manipulation von Stoffen auf atomarer oder molekularer Ebene geht. Dadurch ist es möglich, neue Materialien, Strukturen und Geräte zu entwickeln.

Als zukunftsweisende Technologie stellt die Nanotechnologie ein Potential für Innovationen verschiedener Bereiche dar. Da die Anwendungsbereiche aber so unterschiedlich sind, ist eine Einigung auf eine gesetzliche von Nanomaterialien, die Herstellern von Nanopartikel oder Produkten, Regulatoren, Vollzugsbehörden und Verbrauchern gerecht wird, enorm schwierig (siehe dazu auch NanoTrust Dossier Nr. 39/April 2013).

Während international noch keine einheitliche, rechtlich verbindliche Definition für Nanomaterialien verfügbar ist, wurde in der Europäischen Union eine  Empfehlung für eine allgemeine Definition für Nanomaterialien erarbeitet. Desweiteren wurden bereits spezifische verbindliche Definitionen in unterschiedliche Rechtsbereiche integriert.

 

 

EU-Definition

Die EU-Definition für Nanomaterialien wurde von der Europäischen Kommission am 18. Oktober 2011 als "Empfehlung der Kommission (2011/696/EU)" veröffentlicht. Hierbei werden unter anderem die Mitgliedstaaten, EU-Agenturen sowie Wirtschaftsteilnehmer aufgefordert, diese Definition in Rechtsvorschriften und Politik- und Forschungsprogrammen zu übernehmen. Die Definition bezieht sich auf die Größe des Nanomaterials und beschreibt dieses als ein natürliches, bei Prozessen anfallendes oder hergestelltes Material, das Partikel in ungebundenem Zustand, als Aggregat oder als Agglomerat enthält, und bei dem mindestens 50 % der Partikel in der Anzahlgrößenverteilung ein oder mehrere Außenmaße im Bereich von 1 nm bis 100 nm haben.

 

 

Überprüfung der EU-Empfehlung

Das Institut für Gesundheit und Konsumentenschutz des "Joint Research Centre" (JRC), eine Forschungsstelle der Europäischen Kommission in Ispra (Italien), veröffentlichte im Juni 2015 einen Bericht, in dem Möglichkeiten aufgezeigt wurden, wie bestimmte Formulierungen in der Definitionsempfehlung klargestellt werden könnten bzw. wo zusätzliche Leitlinien zur Unterstützung der praktischen Umsetzung der Definition notwendig wären.

Keine Notwendigkeit für eine Änderung sieht das JRC beim Geltungsbereich der Definition hinsichtlich des Ursprungs des Nanomaterials (natürlich, bei Prozessen anfallend sowie hergestellt). Auch die Größe als alleinige definierende Eigenschaft eines Nanomaterials sowie die Größenordnung von 1 bis 100 nm als Definition für den Nanobereich sollen nicht abgeändert werden.

Für einige Begriffe - wie etwa "Partikel", "Partikelgröße", "Außenmaß" oder "konstituierende Partikel" wurde allerdings der Bedarf an einer Präzisierung bzw. Klarstellung festgestellt. Auch bei anderen Teilen der Definition, etwa bei der Festlegung des Schwellenwerts, der Rolle der spezifischen Oberfläche (VSSA) oder bei den Nachweismethoden, dass ein Nanomaterial kein Nanomaterial ist, sieht das JRC Verbesserungs- und Klärungsbedarf in der Definitionsempfehlung.

Der Bericht bietet eine Reihe von Vorschlägen für wissenschaftlich-technische Leitlinien zur Unterstützung der praktischen Umsetzung der Definition. Verlässt man sich bei zentralen Teilen der Definition allerdings alleine auf Leitlinien, so kann das zu nicht beabsichtigten Unterschieden in der Umsetzung und beim Treffen von Entscheidungen führen. Deshalb wird im Bericht auch die Möglichkeit diskutiert, wie man in die Definition selbst mehr Klarheit bringen kann. Die Entscheidung, ob und wie die Definition zu überarbeiten oder zusätzliche Leitlinien notwendig wären, obliegt nun bei den zuständigen Dienststellen der Europäischen Kommission.

 

 

Neue Empfehlung der EU-Kommission zur Definition von „Nanomaterial" aus 2022

Um den Vorschlag der EU-Kommission zur Definition des Begriffs „Nanomaterial“ aus dem Jahr 2011 an den wissenschaftlich-technischen Fortschritt anzupassen und die Umsetzung der Definition in die Praxis zu vereinfachen, wurde im Jahr 2022 ein überarbeiteter Vorschlag vorgelegt, dem eine intensive, mehrjährige Konsultation von Interessensvertreter*innen und Expert*innen voranging. Dabei wurde insbesondere geprüft, ob der Schwellenwert von 50 % für die Anzahlgrößenverteilung der Partikel herauf- oder herabgesetzt werden sollte und ob Materialien mit einer inneren Struktur oder Oberflächenstruktur im Nanobereich (z. B. nanoporöse Materialien oder Nanokomposite) einbezogen werden sollten.

 

In der EU-Empfehlung von 2022 wird der Begriff „Nanomaterial“ nun wie folgt definiert:

 

Natürliches, bei Prozessen anfallendes oder hergestelltes Material, das aus festen Partikeln besteht, die entweder eigenständig oder als erkennbare konstituierende Partikel in Aggregaten oder Agglomeraten auftreten, und bei dem mindestens 50 Prozent dieser Partikel in der Anzahlgrößenverteilung mindestens eine der folgenden Bedingungen erfüllen:

 

  1. ein oder mehrere Außenmaße der Partikel liegen im Größenbereich von 1 bis 100 nm;
  2. die Partikel haben eine längliche Form, zum Beispiel Stab, Faser oder Röhre, wobei zwei Außenmaße kleiner als 1 nm sind und das andere Außenmaß größer als 100 nm ist;
  3. die Partikel haben eine plättchenartige Form, wobei ein Außenmaß kleiner als 1 nm ist und die anderen Außenmaße größer als 100 nm sind.

 

Bei der Bestimmung der Anzahlgrößenverteilung der Partikel müssen Partikel mit mindestens zwei orthogonalen Außenmaßen von mehr als 10μm nicht berücksichtigt zu werden. Ein Material mit einer auf das Volumen bezogenen spezifischen Oberfläche von weniger als 6 m2/cm3 gilt jedoch nicht als Nanomaterial.

 

Der neue Definitionsvorschlag schließt flüssige oder gasförmige Partikel wie etwa Mizellen oder Tröpfchen aus. Würden diese berücksichtigt, könnte ansonsten ein Außenmaß von 1-100 nm als bestimmendes Kriterium von Nanomaterialien nicht herangezogen werden, da sich nichtfeste Partikel dynamisch in ihrer Größe verändern können. Die Definition gilt auch nicht mehr für große und feste Produkte bzw. Komponenten mit einer inneren nanoskaligen Struktur wie dies zum Beispiel bei Beschichtungen, porösen oder keramischen Materialien der Fall sein kann. Die Überprüfung der Definition aus dem Jahr 2011 hat auch ergeben, dass der Schwellenwert von 50 % nicht geändert werden sollte, allerdings wurde der Passus gestrichen wonach in besonderen Fällen der Schwellenwert von 50 % für die Anzahlgrößenverteilung durch einen Schwellenwert zwischen 1 % und 50 % ersetzt werden, wenn Umwelt-, Gesundheits-, Sicherheits- oder Wettbewerbserwägungen dies rechtfertigen. Ebenso gestrichen wurde aufgrund von technischen und Auslegungsproblemen die Empfehlung, dass ein Verhältnis von Oberfläche zu Volumen von über 60 m2/cm3 eines Partikels zur Bestimmung herangezogen werden kann, ob ein Material als Nanomaterial einzustufen ist. Keine technischen Probleme gibt es allerdings bei der Festlegung von Materialien mit einer volumenspezifischen Oberfläche von weniger als 6 m2/cm3 als Nicht-Nanomaterial, sodass dieser Punkt in die neue Empfehlung aufgenommen wurde.

 

Kosmetikverordnung (EG) Nr. 1223/2009

Die Kosmetikverordnung ist ab 11. Juli 2013 anzuwenden. Sie beinhaltet eine gesetzlich verbindliche Definition für Nanomaterialien, die sich ebenfalls, wie die EU-Definition, auf die Größe des Nanomaterials bezieht. Es wird als ein unlösliches oder biologisch beständiges und absichtlich hergestelltes Material mit einer oder mehreren äußeren Abmessungen oder einer inneren Struktur in einer Größenordnung von 1 bis 100 Nanometern definiert. Zusätzlich wurden auch Kriterien für die Verwendung von Nanomaterialien in kosmetischen Mitteln beschlossen, die auch eine Produktkennzeichnung umfasst.

 

 

Lebensmittel-Informationsverordnung  (EU) Nr. 1169/2011

Diese Verordnung wird dafür sorgen, dass Lebensmittel, die technisch hergestellte Nanomaterialien enthalten, speziell gekennzeichnet werden müssen. Auch dieser Rechtstext beinhaltet eine Definition von "technisch hergestellten Nanomaterialien". Hierbei handelt es sich um jene Definition, auf die sich die EU-Institutionen bereits im Zuge der Verhandlungen über eine Novellierung der Verordnung über Neuartige Lebensmittel geeinigt haben. Sie definiert ein technisch hergestelltes Nanomaterial als jedes absichtlich hergestellte Material, das in einer oder mehreren Dimensionen eine Abmessung in der Größenordnung von 100 nm oder weniger aufweist oder deren innere Struktur oder Oberfläche aus funktionellen Kompartimenten besteht, von denen viele in einer oder mehreren Dimensionen eine Abmessung in der Größenordnung von 100 nm oder weniger haben, einschließlich Strukturen, Agglomerate und Aggregate, die zwar größer als 100 nm sein können, deren durch die Nanoskaligkeit bedingte Eigenschaften jedoch erhalten bleiben.

 

 

Beispiele für nicht rechtlich verbindliche Definitionen

Definition gemäß der internationalen Standardisierungs-Organisation (ISO) - ISO/TC229 DraftTS 27687

Sie beschreibt Nanomaterialien mit ein, zwei oder drei Dimensionen in einem Umfang von 1 nm bis 100 nm, die entweder Nano-Objekte oder nanostrukturierte Materialien sein können. Aktuell sind die ISO-Standards ISO/TS 80004-1 bis ISO/TS 80004-7, die kostenpflichtig erhältlich sind.
 

Definition für Nanomaterialien gemäß OECD

Die OECD hat die  ISO/TC229 DraftTS 27687 als Arbeitsdefinition übernommen. Diese gilt für hergestellte Nanomaterialien und deren spezielle Eigenschaften.